Österreichisches Verfassungsgericht erklärt Staatstrojaner für rechtswidrig
Der Verfassungsgerichtshof von Österreich hat die von ÖVP und FPÖ eingeführte Software zur vorbeugenden Erkennung von geplanten Straftaten für rechtswidrig erklärt. Damit ist die Software, auch noch Staatstrojaner genannt, nicht verfassungskonform und damit zugleich rechtswidrig.
Die rechtskonservative Regierung Österreichs von ÖVP und FPÖ hatte 2018 in einem Sicherheitspaket die Einführung des Bundestrojaners ab 2020 beschlossen. Dieses Sicherheitspaket beinhaltete zusätzlich auch eine automatische Kennzeichenerfassung per Videokamera. Zumindest in Teilen wurden diese Beschlüsse durch den österreichischen Verfassungsgerichtshof als nicht zulässig erkannt.
Einzelne, wichtige Punkte des Sicherheitspakets
Wesentliche Punkte des Sicherheitspakets sind:
- Installierung einer speziellen Software, welche geplante Gesetzesverstöße und Straftaten vorbeugend aufdecken soll.
- Bahnhöfe, Flughäfen, öffentliche Räume werden mit Videokameras ausgestattet.
- Per Videokamera sollen Fahrzeugkennzeichen, Fahrzeugtyp, Marke, Farbe und Identität der Fahrer erfasst und für zwei Wochen gespeichert werden.
- Behörden können verdeckt auf die gespeicherten Daten des Section-Control-Systems zugreifen.
- Jeder, der SIM-Karten erwirbt, muss sich identifizieren.
- Strafermittler haben Zugriff auf die Daten von den zahlreich installierten Videokameras.
Argumente des Verfassungsgerichtshofes
Nach der Überzeugung des Verfassungsgerichtshofes stellen solche Methoden der Überwachung einen zu starken Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Menschen dar und verletzen deren Privatsphäre in unzulässiger Weise. Deshalb seien derartige Verfahrensweisen als Mittel zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung kategorisch abzulehnen. Durch den Einsatz des Bundestrojaners wären auch viele unbeteiligte Menschen betroffen, die beispielsweise völlig arglos im Internet surfen würden, ohne irgendwelche negativen Absichten damit zu verfolgen. Hinzu kommt nach Ansicht der Richter, dass der Missbrauch durch solche Überwachungsmaßnahmen keineswegs auszuschließen sei.
Beweggründe der Regierung zur Einführung des Sicherheitspakets
Es ist unbestreitbar, dass die Gefahrensituationen im Bereich Terroranschläge, Anschläge auf Personen des öffentlichen Lebens, Anschläge auf Entscheidungsträger des Rechtsstaates, allgemein zugenommen haben. Die Gründe hierfür sind unterschiedlicher Natur. Da sind zum einen die verstärkten, weltweiten Migrationsbewegungen, welche für behördliche Organisationen der betroffenen Staaten enorme Herausforderungen darstellen. Zum anderen ist eine wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung festzustellen, die mit einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft einhergeht. Befürworter der Migrationsbewegungen unternehmen teilweise große Anstrengungen, um die unmittelbare Not von angekommenen Flüchtlingen zu lindern. Gegner dieser Migrationsbewegungen rufen nach Abschottung der staatlichen Grenzen und fördern damit nationalistische Tendenzen. Länderübergreifend sind in vielen Staaten des europäischen Festlandes derartige Entwicklungen erkennbar, die eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft zur Folge haben.
Problematische Umsetzung des Sicherheitspakets
Die Installation des Staatstrojaners zur heimlichen Beobachtung und Ausspähung der Internetaktivitäten von ahnungslosen Bürgerinnen und Bürgern stellt einen erheblichen Eingriff in deren Privatsphäre dar. Der Staatstrojaner müsste heimlich, ohne Mitwissen der betroffenen Personen, auf deren Rechner installiert werden.
Hierzu gäbe es zwei Möglichkeiten:
- Die Software müsste direkt an den Computern der betreffenden Personen installiert werden. Hierzu wäre ein unbemerktes, unerlaubtes Eindringen in deren Wohnungen notwendig. Dies stellt ohne zwingende Gründe der direkten Verfolgung von strafbaren Handlungen eine Verletzung des Hausrechts der betroffenen Personen dar.
- Staatliche Behörden versuchen von außen die Software über versteckte, unscheinbar aussehende Links in die Computer der betroffenen Personen einzuschleusen. Es ist leicht einzusehen, dass unbescholtene Bürger einer solchen Vorgehensweise mit gutem Recht ablehnend gegenüberstehen würden.
Strafandrohungen durch das geplante Gesetz
Die österreichische Regierung wollte durch vorbeugende Maßnahmen erreichen, dass die Sicherheitsbehörden erheblich mehr Befugnisse zur Strafvereitelung und Strafverhinderung erhalten. Besonders die Kommunikation durch Messenger-Dienste sollte überwacht werden. Geplante Straftaten sollten möglichst schon in der Entstehungsphase aufgedeckt werden, um diese wirkungsvoll zu verhindern. Nach diesem neuen Gesetz hätten ab April 2020 Kapitalverbrechen mit Höchststrafen von über zehn Jahren Haft belegt werden können. Sollte es sich um Terrorverdachte, Sexualdelikte, Straftaten gegen Leib und Leben handeln, so wären hierfür Höchststrafen von mehr als fünf Jahren Haft möglich gewesen.
Keine Vorratsdatenspeicherung von Kfz-Daten
Die Richter des österreichischen Verfassungsgerichtes entschieden, dass die Sicherheitsbehörden nicht auf die Daten von Videokameras an österreichischen Straßen zugreifen dürfen, um diese zur vorbeugenden Aufdeckung von evtl. geplanten Straftaten zu verwenden. Ohne gegebene Anlässe und triftige Gründe darf keine Vorratsdatenspeicherung betrieben werden. Derartige Eingriffe sind als unverhältnismäßig abzulehnen und würden bei der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung mit Recht auf Ablehnung stoßen. Das entstehende Gefühl der unverhältnismäßigen Überwachung ist als Vorstufe zur Einschränkung der Versammlungs- und Meinungsfreiheit, zweier wesentlicher Grundrechte, anzusehen. Als weiteren Grund für diese Ablehnung führten die Richter die mit der Vorratsdatenspeicherung zwangsläufig möglich werdende Verfolgung von leichtesten Vermögensdelikten an, welche mit einer Einführung des Gesetzes einhergehen würde.
Keine pauschale Straßenüberwachung
Mit Einführung des Sicherheitspakets hätten die Autobahnen und Straßen Österreichs mit Videokameras dauerhaft überwacht und die Daten für zwei Wochen lang gespeichert werden können. Die gespeicherten Daten des Section-Control-Systems, welche hauptsächlich Geschwindigkeiten von Fahrzeugen auf bestimmten Wegstrecken messen, dürfen von den Sicherheitsbehörden nicht abgegriffen werden. Die Rechtsgüter Datenschutz und die Privatsphären von vielen unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern sind nach dem Richterbeschluss höher einzustufen als die mögliche Gefahrenabwehr durch die starken Eingriffsmöglichkeiten der Sicherheitsbehörden.
Keine übertriebenen Überwachungsstrategien
Nachdem die Regierung im April 2018 das umstrittene Sicherheitspaket beschlossen hatte, warnte die Opposition davor, dass Österreich durch das neue Gesetz zu einem Überwachungsstaat werden würde. Die beim Verfassungsgerichtshof eingereichte Klage der SPÖ und der liberalen Neos hatte schließlich durch den Richterbeschluss, zumindest teilweise, auch Erfolg.
Nicht verworfene Punkte des Sicherheitspakets
Das Verfassungsgericht Österreichs verwarf zwar wesentliche Teile des beschlossenen Sicherheitspakets als unzulässig, es blieben jedoch auch einige, weniger gravierende Punkte bestehen. Im Einzelnen sind dies:
- Die Videokameras an besonders frequentierten Stellen, wie in Bahnhöfen und Flughäfen bleiben in Betrieb. Staatliche Sicherheitsbehörden dürfen auf die gesammelten Daten zur vorbeugenden Gefahrenabwehr und zur Verbrechensbekämpfung zurückgreifen.
- Jeder, der SIM-Karten erwerben will, muss sich identifizieren.
- Das Briefgeheimnis wird etwas aufgelockert.
Fazit
Jeder Rechtsstaat sieht sich immer einer gewissen Gratwanderung sowie einer ständigen Abwägung von Rechtsgütern seiner Bürgerinnen und Bürger ausgesetzt. Zum einen muss der Rechtsstaat die Privatsphären aller Menschen respektieren. Zum anderen muss er aber auch die Bevölkerung bei drohenden Gefahren ausreichend schützen. Eine erfolgreiche Gefahrenabwehr kann nur dann funktionieren, wenn die staatlichen Organe, besonders die Polizei, bei Gefahr im Verzuge die nötigen Rechtsmittel zur Durchsetzung und Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung anwenden kann. Dies kann zwangsläufig zu einer teilweisen, wenn auch nur vorübergehenden, Beschneidung von einzelnen Rechtsgütern führen, von welchen einzelne oder auch mehrere Menschen betroffen sind. Dies gilt insbesondere in Zeiten erhöhter Terrorgefahren, Sexualdelikten und anderer Gewaltverbrechen.