Du hast sie sicher schon erlebt: Mitarbeitende, die plötzlich kündigen, obwohl alles „gut“ schien. Oft bleibt unklar, warum sie gehen – und erst recht, was man hätte tun können, um sie zu halten. Genau hier setzen Stay Interviews an. Im Gegensatz zu klassischen Jahresgesprächen oder Exit-Interviews geht es bei Stay Interviews nicht um Kontrolle oder Kritik, sondern um Zuhören, Verstehen und frühzeitiges Handeln. Es sind kurze, gezielte Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeitendem, die wertvolle Einblicke liefern: Was motiviert sie? Wo hakt es? Was braucht es, damit sie langfristig im Unternehmen bleiben? Wir zeigen, wie Du Stay Interviews in Deinem Unternehmen als wirksames Instrument einsetzen kannst.
Was ist ein Stay Interview?
Ein Stay Interview ist ein kurzes, gezieltes Gespräch zwischen Mitarbeitendem und Führungskraft, dessen Hauptziel es ist, frühzeitig zu erkennen, was Mitarbeitende motiviert, zufriedenstellt oder auch frustriert. Anders als bei klassischen Jahresgesprächen oder Feedbackgesprächen geht es hier nicht um Leistungsbeurteilung, sondern um proaktives Zuhören: Was braucht die Person, damit sie langfristig im Unternehmen bleibt?
Der Begriff stammt aus dem HR- und Employee-Engagement-Bereich. Unternehmen setzen Stay Interviews ein, um wichtige Einblicke in die Arbeitszufriedenheit, die Motivation und die Wünsche ihrer Mitarbeitenden zu gewinnen. Sie sind damit ein präventives Instrument.
Abgrenzung zu anderen Interviews
- Feedbackgespräche: Fokus liegt auf der aktuellen Arbeit und Leistung, nicht primär auf Mitarbeiterbindung.
- Mitarbeiter-Jahresgespräche: Meist formell, Leistungsbeurteilung, Zielvereinbarungen.
- Exit-Interviews: Erfolgt erst beim Austritt einer Person; dient der Analyse von Gründen für Kündigungen.
- Retention-Massnahmen: Entstehen oft aus den Erkenntnissen der Stay Interviews, sind aber die konkrete Umsetzung, nicht das Gespräch selbst.
Warum Stay Interviews so wirkungsvoll sind
Stay Interviews entfalten ihre Wirkung vor allem durch die Kombination aus psychologischer Sicherheit, proaktivem Zuhören und gezielter Bindung. Sie gehen weit über klassische Gespräche hinaus, weil sie Mitarbeitenden zeigen: „Deine Meinung zählt – wir wollen, dass du langfristig hier bleibst.“
Psychologische Mechanismen
- Wertschätzung: Mitarbeitende fühlen sich ernst genommen, wenn ihre Wünsche und Bedürfnisse aktiv erfragt werden.
- Zugehörigkeit: Das Gespräch signalisiert, dass das Unternehmen an der Person als Teil des Teams interessiert ist.
- Autonomie: Mitarbeitende können Einfluss auf ihre Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten nehmen.
Frühwarnsystem
Stay Interviews helfen, Probleme frühzeitig zu erkennen, bevor sie zu Kündigungen oder Demotivation führen. Mitarbeitende, die unzufrieden sind, geben oft subtile Signale, die in regulären Meetings überhört werden (siehe hierzu auch unser Beitrag Von Quiet Quitters und Unternehmenskultur als Schlüssel zur Mitarbeiterbindung). Hier bietet das gezielte Gespräch die Möglichkeit, rechtzeitig gegenzusteuern.
Strategische Datenbasis
Die Ergebnisse können strukturiert ausgewertet werden. Trends oder wiederkehrende Themen liefern wertvolle Hinweise für HR-Strategien, Teamgestaltung oder People-&-Culture-Massnahmen.
Positive Wirkung auf Unternehmenskultur
Regelmässige Stay Interviews fördern Vertrauen, Transparenz und Offenheit. Mitarbeitende merken, dass ihr Input gehört wird, und Führungskräfte erhalten ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse ihres Teams. Das steigert die Zufriedenheit, Motivation und langfristige Bindung – und wirkt sich damit direkt auf den Unternehmenserfolg aus.
Für wen eignen sich Stay Interviews?
Stay Interviews sind ein flexibles Instrument, das in nahezu allen Unternehmensgrössen und -formen eingesetzt werden kann – von Start-ups über Agenturen bis hin zu KMU oder grösseren Konzernen. Sie eignen sich besonders in Situationen, in denen Mitarbeiterbindung und Motivation kritisch für den Erfolg sind.
Besonders sinnvoll bei:
- Rollen mit hoher Fluktuationsgefahr: Positionen, in denen Mitarbeitende schnell wechseln oder stark nachgefragt sind.
- Schlüsselpositionen: Mitarbeitende, deren Ausfall direkte Auswirkungen auf Projekte oder Teams hätte.
- Mitarbeitende mit sehr guter Performance: Top-Talente wollen oft gezielt gefördert und gehalten werden.
- Teams mit viel Veränderung: In Phasen von Umstrukturierung, Wachstum oder neuen Prozessen helfen Stay Interviews, Unsicherheiten früh zu erkennen.
Hinweis: Es lohnt sich, nicht nur die „Top-Performer“ ins Gespräch zu holen. Mitarbeitende aus verschiedenen Rollen, Erfahrungsstufen oder Abteilungen können unterschiedliche Insights liefern – über Arbeitsprozesse, Teamdynamik oder die allgemeine Stimmung im Unternehmen. So entsteht ein umfassenderes Bild der Unternehmenskultur und möglicher Verbesserungsfelder.
Wann sollten Stay Interviews durchgeführt werden?
Der Zeitpunkt und die Häufigkeit von Stay Interviews sind entscheidend, damit sie ihre volle Wirkung entfalten. Richtig eingesetzt, helfen sie Frustration, Demotivation und Kündigungen frühzeitig vorzubeugen.
- Ideale Frequenz: Stay Interviews sollten regelmässig – z.B. halbjährlich oder jährlich – stattfinden. Aber: Die Gespräche sollten genug Abstand zu Leistungsbeurteilungsgesprächen haben, damit sie nicht wie eine „Pflichtübung“ wirken. Merker: Ideal ist ein regelmässiger Rhythmus kombiniert mit Situationsabhängigkeit.
- Signale, die ein Stay Interview besonders sinnvoll machen:
- Veränderungen im Team oder in der Organisation (z. B. neue Prozesse, Abteilungswechsel).
- Anzeichen von Unzufriedenheit oder sinkender Motivation.
- Hochperformende Mitarbeitende, deren Bindung besonders wertvoll ist.
- Wenn Mitarbeitende bereits aktiv über einen Wechsel nachdenken, ist das Stay Interview zu spät. Der Fokus liegt auf präventivem Handeln, nicht auf „Schadensbegrenzung“.
Ziele eines Stay Interviews
Stay Interviews dienen dazu, Mitarbeitende zu verstehen, ihre Zufriedenheit zu fördern und ihre Bindung ans Unternehmen zu stärken. Die Ziele sind klar auf Prävention und strategische Nutzung ausgerichtet:
- Motivation verstehen: Erkenne, was Mitarbeitende motiviert und welche Aufgaben ihnen Freude bereiten. Finde heraus, welche Faktoren ihre Zufriedenheit und damit ihre Produktivität beeinflussen.
- Arbeitszufriedenheit messen: Erhalte ein Stimmungsbild über aktuelle Projekte, Aufgaben und die Teamdynamik. Identifiziere frühzeitig Schwachstellen, bevor sie zu Frust oder Kündigungsabsichten führen.
- Erkenne Barrieren: Probleme oder Hürden im Arbeitsalltag werden offengelegt, organisatorische oder zwischenmenschliche Schwierigkeiten werden sichtbar.
- Entwicklungsmöglichkeiten sichtbar machen: Unterstütze Mitarbeitende in ihrer beruflichen und persönlichen Weiterentwicklung. Zeige Perspektiven auf, welche die langfristige Unternehmensbindung fördern.
- Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Führung stärken: Baue Vertrauen auf und vermittle das Gefühl „Ich höre dir zu und nehme dich ernst“. Etabliere Kommunikation auf Augenhöhe.
- Konkrete Retention-Massnahmen: Leite konkrete Verbesserungen für Teams, Prozesse und andere geschäftsrelevante Themen ab.
Stay Interviews verbinden somit psychologische Aspekte mit strategischen HR-Zielen – ein einfaches Gespräch kann dadurch grosse Wirkung entfalten, wenn es richtig geführt wird.
Ablauf eines Stay Interviews: So sieht ein gutes Gespräch aus
Damit Stay Interviews ihre Wirkung entfalten, ist ein strukturierter Ablauf hilfreich. Er sorgt dafür, dass das Gespräch locker, zielgerichtet und wertschätzend verläuft.
- Vorbereitung: Einen ruhigen Raum wählen, in dem sich Mitarbeitende wohlfühlen. Ausreichend Zeit einplanen (min. 30–45 Minuten sind ideal). Gesprächsleitfaden vorbereiten, um wichtige Themen gezielt anzusprechen, ohne den Dialog zu erzwingen.
- Gesprächseröffnung: Erwartungen klar formulieren: „Es geht um deine Zufriedenheit und deine Perspektive, nicht um Leistungsbewertung.“ Rahmen setzen: Dauer, Ablauf und Vertraulichkeit erläutern.
- Fragen stellen und aktiv zuhören: Offene Fragen nutzen, um Einstellungen, Wünsche und Bedürfnisse zu erfassen. Aktiv zuhören, Rückfragen stellen und Eindrücke zusammenfassen, um Missverständnisse zu vermeiden.
- Dokumentation: Wesentliche Punkte neutral festhalten, ohne (Be)Wertungen. Notizen dienen als Basis für gezielte Massnahmen und spätere Follow-ups.
- Gemeinsames Herausarbeiten von Massnahmen: Zusammen überlegen, welche Schritte realistisch, möglich und sinnvoll sind. Mitarbeitende einbeziehen, um zufriedenstellende Lösungen zu entwickeln.
- Abschluss: Zusammenfassung der wichtigsten Punkte und nächsten Schritte. Follow-up-Termin festlegen, um die Umsetzung zu überprüfen.
Gute Fragen für Stay Interviews – Beispiele
Die richtigen Fragen sind entscheidend, damit Stay Interviews wertvolle Einblicke liefern. Sie sollten offen, positiv formuliert und auf Bindung sowie Motivation ausgerichtet sein. Viele suchen nach typischen „Stay Interview Fragen“ – hier einige praxisnahe Beispiele.
- Was macht dir an deiner Arbeit aktuell am meisten Freude?
- Was sorgt bei dir an einem normalen Arbeitstag für gute oder schlechte Laune?
- Welche Tätigkeiten würdest du gern häufiger oder seltener übernehmen?
- Was würde deinen Arbeitsalltag einfacher oder angenehmer machen?
- Welche Entwicklungsmöglichkeiten möchtest du in Zukunft verfolgen?
- Was könnte dazu führen, dass du das Unternehmen verlassen würdest?
- Was können wir tun, damit du langfristig gern hier bleibst?
Grundlegende Tipps für die Fragestellung:
- Offene Fragen verwenden, die ein ausführliches Gespräch ermöglichen.
- Auf Bewertungen verzichten, lieber nach Erfahrungen und Wünschen fragen.
- Auf Antworten eingehen, Rückfragen stellen und die Mitarbeitenden aktiv einbeziehen.
Häufige Fehler vermeiden
Auch wenn Stay Interviews ein sehr wirksames Instrument sein können, schlechte Durchführung kann die Wirkung stark einschränken oder gar zunichte machen.
- „Wir machen das jetzt mal fürs Protokoll“: Wird das Gespräch zur Pflichtübung, erkennen Mitarbeitende schnell, dass ohnehin keine echten Konsequenzen folgen werden. Ein konkretes Follow-Up ist deshalb entscheidend.
- Leere Versprechen: Erwartungen wecken, ohne dass Massnahmen tatsächlich umgesetzt werden. Sowas schadet der Motivation mehr als überhaupt kein Gespräch. Lösung: Nur realistische Wünsche und Schritte zusagen und deren Umsetzung konkret planen.
- Übertriebene Formalität: Ist die Atmosphäre zu formell, wirkt es eher wie ein Kritikgespräch. Die Mitarbeitenden fühlen sich unter Druck und antworten weniger offen. Ein lockerer Gesprächsrahmen mit einem wertschätzenden Ton sind besser.
- Fehlende Abgrenzung zu Jahresgesprächen: Gibt es keine klare Trennung oder Differenzierung zum Mitarbeitergespräch (Leistungsbeurteilung), werden Mitarbeitende Stay Interviews als Teil einer Leistungsbeurteilung sehen. Es ist möglich, dass sie dann weniger ehrlich antworten oder Probleme nicht ansprechen. Lösung: Klare Kommunikation; es geht um Zuhören und Bindung, nicht um Bewertung.
- Rollenverteilung im Gespräch: Wenn die Führungskraft mehr redet als der Mitarbeitende, ist das Ziel verfehlt. Lösung: Aktives Zuhören, Rückfragen, den Mitarbeitenden im Mittelpunkt lassen.